Eigentlich hätte die EU bei den Vereinten Nationen schon längst ihre Klimaziele für 2035 einreichen müssen. Die EU-Kommission knüpfte diese aber an das EU-Klimaziel für 2040 – und dieses ist nach wie vor ausständig. Anders als die Zusage an die UNO ist das EU-Klimaziel gesetzlich bindend, verlangt den 27 Ländern konkrete Bemühungen um mehr Klimaschutz ab und sorgt deshalb für Konflikte.
Konkret sieht der aktuelle Vorschlag der Kommission vor, den Treibhausgasausstoß bis 2040 um 90 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Finnland, die Niederlande und Dänemark gehören zu den Befürwortern des 90-Prozent-Ziels. Länder wie Tschechien und Italien halten es jedoch für zu ambitioniert und sprechen sich für niedrigere Ziele aus.
Hintergrund der Kritik der EU-Mitgliedsstaaten sind vor allem die zunehmenden Kosten für Unternehmen, die ohnehin schon mit hohen Energiepreisen und drohenden US-Zöllen zu kämpfen hätten, so die Argumentation. Befürworter wiederum verweisen darauf, dass das Klimaziel 2040 als wichtiger Zwischenschritt auf dem Pfad der EU zu Klimaneutralität gilt.
Einstimmigkeitsprinzip als gordischer Knoten
Ursprünglich hätten die Umweltministerinnen und -minister bereits im September über das Klimaziel 2040 entscheiden sollen. Doch auf Druck einiger Länder wurde das Thema zur Chefsache erhoben und beschäftigt somit nun die Staats- und Regierungsspitzen. Diese können aber lediglich Leitlinien vorgeben, der finale Beschluss obliegt dann wieder den Umweltministerinnen und Umweltministern.
Doch wenn der Gipfel in seinen Leitlinien den aktuellen Vorschlag der Kommission vom Tisch nehme, dann würde es für den zuständigen Umweltministerrat nicht mehr viel zu entscheiden geben. Dazu kommt: Bei den Umweltministerinnen und Umweltministern reicht eine qualifizierte Mehrheit, um die Position für das Klimaziel zu fixieren. Entscheidungen auf einem EU-Gipfel benötigen hingegen Einstimmigkeit – was die Sache zusätzlich erschwert.
So könnten etwa Staaten, die dem Ziel skeptisch gegenüberstehen, ihre Zustimmung an Vorgaben knüpfen – etwa Abschwächungen zum formalen Entwurf der EU-Kommission. Neben der Nutzung internationaler CO2-Zertifikate steht auch die Herabsetzung der Klimaziele für die Industrie im Raum. Auch könnte durch das Einstimmigkeitsprinzip bereits ein Land die EU-Klimaziele ganz aufhalten.
Für Klimaministerium „sehr ambitionierte Vorgabe“
Das Klimaministerium von Norbert Totschnig (ÖVP) sagte in einer Stellungnahme gegenüber ORF.at, die 90 Prozent Emissionsreduktion seien eine „sehr ambitionierte“ Vorgabe. Daher sei es umso wichtiger, bereits jetzt Rahmenbedingungen einzufordern, die diese Zielerreichung ermöglichen. Bei den Emissionszertifikaten etwa müssten strenge Kriterien gelten, die Produktionsfähigkeit der Landwirtschaft dürfe nicht eingeschränkt werden, und Potenziale bei der Abscheidung und Speicherung von Kohlenstoff (CCS) müssten „bestmöglich genutzt“ werden können.
Totschnig selbst betonte: „Das Klimaziel ist keine isolierte umwelt- und klimapolitische Frage. Es geht auch darum, dass wir das Wirtschaftswachstum ankurbeln und Preissteigerungen so niedrig wie möglich halten müssen.“ Österreich spreche sich zwar für ambitionierten Klimaschutz aus, das bedeute aber auch, „dass dieser machbar und gesellschaftlich tragbar sein muss“. Und dieser Rahmen werde eben derzeit verhandelt.
Kritik von Grünen
Zu einem Beschluss von mit Zahlen versehenen Klimazielen wird es aber ohnehin wohl erst am 4. November kommen, wenn der nächste EU-Umweltministerrat auf dem Programm steht. Die Klimakonferenz im brasilianischen Belem beginnt nur wenige Tage danach, am 10. November.
Die EU-Abgeordnete Lena Schilling (Grüne) sagte kürzlich dazu: „Die Zeit wird knapp, denn die Klimakonferenz steht vor der Tür.“ Der Gipfel sei „entscheidend“, denn wenn die EU jetzt nicht liefere, „riskieren wir nicht nur den Kampf gegen die Klimakrise, sondern auch Europas Rolle in der Welt“. Das von der Kommission vorgelegte Klimaziel dürfte folglich keinesfalls aufgeweicht werden.
Leonore Gewessler (Grüne) appellierte in einer Aussendung am Mittwoch an Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP), „bei der klimapolitischen Geisterfahrt, die die Bundesregierung derzeit in Österreich hinlegt, nicht auch noch aufs Gas steigen“.
„EU geht mit schwacher Position in Klimakonferenz“
Kritik kommt indes auch vom Kontext – Institut für Klimafragen: „Die Regierungen in den Mitgliedsländern sind in der Klimapolitik aktuell kontraproduktiver als die Kommission. Insofern ist davon auszugehen, dass der Vorschlag der Kommission noch weiter abgeschwächt wird.“ Entweder indem das Ziel verringert oder Scheinklimaschutz ausgedehnt werde, so die Kontext-Institutsvorständin und Mitbegründerin von „Fridays for Future Österreich“, Katharina Rogenhofer, gegenüber ORF.at.
Sie warnt zudem vor wirtschaftlichen Folgen, schließlich schwäche sich Europa mit der zögerlichen Haltung vor allem auch mit Blick auf den globalen Wettbewerb um die Technologien der Zukunft. Doch auch angesichts der Klimakonferenz sei die Haltung der EU verheerend: „Neben den USA unter Präsident Donald Trump geht nun wohl auch die EU mit einer schwachen Position in die Weltklimakonferenz. Unter diesen Umständen sind auch von Entwicklungsländern keine großen Zugeständnisse zu erwarten.“ Die COP30 drohe damit zur Farce zu werden.
Offener Brief von mehr als 2.000 Wissenschaftlern
In einem zu Beginn der Woche veröffentlichten Brief appellierten 2.178 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus ganz Europa, an dem 90-Prozent-Ziel festzuhalten. In dem Brief heißt es, ehrgeizige Klimamaßnahmen seien nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht notwendig, sondern würden auch „Europas größte Chance“ darstellen, „um Wohlstand zu sichern, die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, Innovationen zu fördern, Arbeitsplätze zu schaffen und die Energieunabhängigkeit zu gewährleisten“.
Auch der Europäische Wissenschaftliche Beirat für Klimawandel habe angegeben, dass eine Treibhausgasreduktion um 90 bis 95 Prozent notwendig sei, um bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Doch die politische Diskussion entferne sich zunehmend von den wissenschaftlichen Erkenntnissen. Es dürfe kein „Feilschen um Schlupflöcher“ geben, vielmehr müsse Europas Zukunft gesichert werden. Und: Die europäische Führung müsse mit starken Klimazielen „andere Länder und Regionen ermutigen, zu folgen und den notwendigen Schwung für entscheidende internationale Maßnahmen zu schaffen“.